10.04.49: Der letzte Brief von Elias Hauster


[Zwischen dem 29.12.48 und 10.04.49 hat Elias Hauster weitere 10 Briefe geschrieben, die einen sehr privaten Charakter haben und hauptsächlich von seiner Prostata-Erkrankung und den erfolglosen Behandlungsversuchen handeln. Einen Monat später, am 20. Mai 1949, ist Elias Hauster gestorben. Für das Verständnis der geschichtlichen und politischen Zusammenhänge sind diese Briefe nicht von Bedeutung. Wir haben daher darauf verzichtet, sie zu publizieren.]



Elias Hauster an Gusta Bardach (Fleischer):


Bucuresti 10/4 1949 Liebe Schwägerin!

Julius versprach fix, Ihnen endlich Ihr Büchel zu senden. Was Ihren Gesundheitszustand betrifft, ist das eben das Alter. Vielleicht wird Vibrationsmassage Ihre Blutzirkulation verbessern. Ich bin plötzlich von einer schweren u. langwierigen Krankheit (Prostata) befallen worden, die mich in den Kräften so heruntergebracht hat, daß ich geradezu nicht weiß, wie ich die nächsten Stunden denken soll, da mein früheres Bronchialasthma und mein nicht ganz intaktes Herz als Komplikation hinzugetreten sind. Um momentan mein Leben zu retten, mußte ich mich im Radautzer Spitale einer sofortigen, schweren Operation unterziehen u. verblieb dort 5 Wochen, ohne daß der gewünschte Erfolg eintrat. Marie brachte mir täglich das Essen, was in Mitten Winter keine leichte Sache ist. Wir telegraphierten dann dem Julius, der nach Radautz kam, unsern Haushalt in Hast auflöste und mich per Tragbahre in den Eisenbahn transportieren ließ, der mich, die Marie u. ihn nach Bukarest brachte. Die Reise ging nicht schlecht von statten. Vom Waggon wurde ich dann per Tragbahre und Sanitätsauto ins Buk. Charitas-Spital gebracht, woselbst ich 4 Wochen verbrachte. Dort sollte erst die richtige Operation durchgeführt werden, doch wurde konstatiert, daß dies wegen meines Asthmaleidens etc. nicht geschehen kann. Ich ging, man kann sagen: etwas gebessert von dort weg u. kam per Auto zum Julius, der uns Obdach gewährt und sich materiell geradezu für uns opferte. Jetzt kämpfe ich wie ein Verzweifelter gegen das Asthma und gegen die Entkräftung an u. bin größtenteils bettlägerig. Wir haben eine halbtägige Aushilfe, aber Marie arbeitet sich dabei schwer ab. Wir grüßen Sie u. die Ihren herzlich, glückliche Feiertage. Ihr Schwager u. Schwester Ing. Hauster u. Frau

29.12.48: Das Bessere ist der Feind des Guten!


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 29/12 1948

Lieber Julius!

Wir stehen an der Schwelle großer Zeiten u. Ereignisse, u. da mußt du dir schon eine regere Korrespondenz meinerseits gefallen lassen. Deine Seitenhiebe von Taktausstellungen [Anm.: verm. "Taktlosigkeiten"] u. Schulmeisterei etc. etc. lassen wir dann auf einer Nebenwalze abrollen, bis sie sich leerlaufen. Du steht mit deinen Anschauungen über Palästina ziemlich isoliert da. Die Reichtümer des Negev an Eisen, Kupfer, Wolfram, Zirkon, Mangan, Kaolin, Glassand, Schwefel, Titan, Petrol, Uran, etc. etc. lassen auf eine gewaltige Zukunft dieses Erdenfleckes schließen. Das zionistische System der Betreuung jedes Einzelnen wird bald in die arab. Umgebung hinein, aber auch weiter hinaus, sozialrevolutionierend wirken. Und da taucht die brennendste der Gegenwartsfragen auf; die Wohnungsfrage, auf die sich jeder, der von der Technik etwas gerochen hat, werfen sollte. Wenn dir persönlich das von mir angestrebte Ziel kultureller Natur nicht lohnend genug erscheint (schließlich mußt du den Hauptteil der Energie ja für die verwenden, womit auch uns geholfen ist, laß die Chance nicht aus und strebe du die Ernennung als technischer Gesandtschaftsattachee in Tel Aviv an, sofern dieser Posten noch frei ist, sonst laß dich zu diesem Amte irgendwie detachieren [abordnen]. Vorher aber suche eine Kombination mit Industriekreisen (in-, besser noch ausländischen), welche an der Lösung der Wohnungsfrage fett verdienen wollen. Wie aus dem von mir dir beigelegten Zeitungsausschnitte hervorgeht, ist sofortiger Bedarf nach Tausenden von Wohnungen vorhanden, u. da tritt ein Phänomen zutage, das man heute gar nicht erwarten sollte: stellt sich so ein bedeutender Mann her, wie Ben Gurion, u. spricht des Weiten u. Breiten über den bald eintretenden Wohnungsmangel zufolge der Abrüstung, ohne mit einem Worte des in URSS bereits ziemlich fortgeschrittenen, vorfabrizierten Hauses zu erwähnen. Damit sollten sich doch ganze Zeitschriften befassen u. die Produktion am laufenden Band bis ins Einzelne regeln! Gibt es eine solche Zeitschrift? Also nun zu dir. Wenn du prompt eine Vertretung (nicht offiziell) einer Lieferungsfirma für v[or].f[abrizierte]. Häuser erhalten könntest, dann kann das Geschäft in Palästina bald losgehen. Amerikanische Kredite werden ja gerne gegeben, u. Palästina hat ein für solche Häuser ideales Klima! Als techn. Gesandtschaftsattachee wirst du große Geschäfte tätigen können, u. es wäre z. B. für Dynastien à la Dr. Fokschaner ein sehr dankbares Gebiet, in Rumänien eine Kauf- und Versandstelle solcher Häuser zu errichten und Schiffsladungen nach Palästina zu dirigieren, möge meinetwegen auch eine rumänische Staatsfabrik die Erzeugerin sein. Kurzum, mögen die vorbereitenden Kombinationen u. Spekulationen wie immer sein: das Ergebnis soll die regelmäßige Massenlieferung v[or].f[abrizierter]. Häuser durch dich, womöglich als rum. techn. Gesandtschaftsattachee in Tel Aviv sein! Dein Reiseverkehr ist dann nur per Avion [Anm.: frz. "Flugzeug"] u. Auto, deine Korrespondenz u. dein Gepäck zensurfrei, u. die brennendste Gegenwartsfrage, die Wohnungsfrage, ist in Palästina gelöst, auch für dich u. mich! Denn als Attachee wirst du uns ja unschwer den Aufenthalt u. das Fassen der Pension in Palästina sichern können! Das möchte ich noch, zusammen mit der Mutter erleben! Viel verdient man bei großen Warmobjekten. Petrolherde sind auch ganz schön, aber das Bessere ist der Feind des Guten! Ich habe dir schon einmal über den Gegenstand der v[or].f[abrizierten]. Häuser geschrieben u. möchte deinen Geschäftssinn mit Sirenenpfeifen für diese Konjunktur wachrütteln. Hoffentlich habe ich nun das Menschenmögliche hierzu beigetragen.

Wir küssen dich, deine Alten.

18.12.48: Hier ist doch das reinste Dorf, wo wir uns wie deportiert vorkommen.


Elias Hauster an Julius Hauster:



Radauti 18/12 1948

Lieber Jul!

Ich will dir heute etwas über meinen Gesundheitszustand schreiben. Ich hatte einige Tage geschwollene Waden u. Füße. Ich nahm Digitalis, doch mit negativem Erfolge. Da rief heute die Mutter den Dr. Schächter, Chefarzt der staatl. Krankenkasse (die vis a vis unserem Hause installiert ist) u. das Ambulatorium der Kultusgemeinde. Wenn er etwas verschreibt, dann verabfolgt er auch - auf Verlangen - die Medikamente auf Kosten der K[ultus]. Gem[einde]. gratis, was pekuniär [finanziell] sehr ins Gewicht fällt. Er konstatierte eine leichte - vielleicht sagt er mir nur so - Schwächung des Herzmuskels u. meint, das sei nicht verwunderlich, er selber hätte auch nicht den Herzmuskel, den er vor 10 Jahren hatte. Auch eine leichte Verschleimung sei noch bei mir vorhanden. Außer den Medikamenten, die er mir zu verschreiben gedenkt, verordnete er mir eine 3-4 tägige Milchkur als modernes Verfahren in solchen Fällen (Candé oder Canné-Behandlungsmethode), täglich ausschließlich Milch (1 1/2 lit) als Nahrung, dazu als Zugeständnis ungesalzenen Kuhkäse. Er wird mir nachher einen Diätzettel geben u. empfahl mir, in Zukunft überhaupt kein Fleisch zu essen. Bettlage sei während der Milchkur zu empfehlen, da die Nahrungseinschränkung zweifellos etwas schwächt. Morgen früh, so Gott will, beginne ich mit der Milchkur. Nach dem derzeitigen Stande der Wissenschaft sei eine völlige Heilung nicht zu erwarten, ich müsse trachten, die Schwächung durch eine ruhige Lebensweise u. Diät zu kompensieren. Nun, lieber Jul, siehst du, daß ich das h[iesige]. o[bige]. Sachalinklima [Anm.: russische Insel im Pazifik, ab dem 19. Jahrh. Strafkolonie für russische Gefangene] unmöglich weiter ertragen kann: hier muß ich schwere Kleider tragen, im Winter kann ich hier nicht an die Luft kommen, u. der dauert hier 5 Monate! Hier muß ich mich nachts schwer bedecken. Mit wem man spricht, fast jeder hat eine kalte Wohnung, auch wir! Unsere Wohnung ist sogar in der näheren Umgebung als kalte Wohnung bekannt, aber in der Dachbodenwohnung bei Weinschenker war es noch kälter! Mit fortschreitendem Alter sucht man überhaupt die Wärme! Im h. o. Asyl war der 96 jährige, alte Hain, der Vater des Dentisten. Eines Tages bestieg er in Begleitung eines bezahlten Mannes den Zug, sein Sohn erwartete ihn u. führte ihn direkt in ein gutes, jüd. Spital, wo ihm genaue Untersuchung u. sorgfältige Behandlung zuteil ward, jetzt ist er im Elisabetheum. Ich denke, bei mir wäre, außer dem Elisabetheum, derselbe Vorgang zu empfehlen. Während man in Bukarest noch die welken Blätter in den Gärten zusammenkehrt, ist hier schon längst ganz tiefer Winter! Hier ist doch das reinste Dorf, wo wir uns wie deportiert vorkommen, Bucuresti ist doch ein Zentrum des Wissens, auch des medizinischen! Vielleicht kommt dort solche Behandlungsmethoden (Bestrahlungen etc.) auf, wodurch mein Übel behoben werden kann! Wie mich bedünkt, ist die ganze Geschichte ein Grippenrest, u. wo bekommt unsereiner denn leichter die Grippe, als im Sachalinklima? … Du kannst dir denken, was da der Mutter, diesem schwächlichen, kränklichen Persönchen, aufgelastet ist: der ganze Außendienst (Einkauf, Behördenverkehr, Kartelle [Bezugsscheine], Brotfassung etc.) u. dazu noch das Kochen, Feuern, Abfallstoffe-Beseitigung bis zum Düngerhaufen u. Handreichungen an mich. Wie ich noch auf den Beinen ins Freie konnte u. bevor wir die Hilfskraft in Form eines kleinen rum. Jungen ausfindig machten, half sie mir auch beim Wasser- u. Holztragen. Sind das Arbeiten für uns? Das ist ja wirklich u. wahr eine bittere Deportation, die wir abbüßen! Das hättest du bei deiner (Ab-)Kanzlerreise sehen sollen, u. nicht eigens herkommen, um mir, wie du es nanntest, das Dichten zu verbieten! Und das waren doch nur frühere Spielereien, die ich stückweise in meinen Briefen an dich nur abzuschreiben hatte! Du mußt daher unbedingt zu Weihnachten herkommen (in warmer Kleidung!) u. die ganze Umsiedlungsaktion leiten. Wir haben hier einen sehr reellen, jüd. Menschen in d. Nähe, der unsere hier zu belassenden Habseligkeiten übernehmen u. allmählich abverkaufen kann, um uns den Erlös einzusenden. Er kann auch die Vertretung deines Petrolherdes übernehmen. Bringe unbedingt das Bulletin [Anm.: rum. "Personalausweis"] d. Mutter mit, du weißt, was davon abhängt! Vielleicht schickst du es vorher ein, denn wir müssen damit neue Brotkartelle [Bezugsscheine für Brot] beheben.

Wir küssen dich, deine Alten.


Komme zu Weihnachten unbedingt! Ziehe Trikotwäsche an! Ohrenschützer!

11.12.48: Du kannst parteilos bleiben und deine Gedanken zollfrei denken.


Elias Hauster an Julius Hauster:





Sehr wichtig ("O dieses") Radauti 11/12 1948

Lieber Jul!

Ich will dir hier noch weiters die Annehmlichkeiten meines h[iesigen]. o[bigen]. Aufenthaltes darlegen. Vor allem bin ich älter, u. ertrage die h[iesigen]. o[bigen]. scharfen Winter immer schwerer. Wir liegen ja nicht in einem geschützten Tal, sondern in einer den Polarluftströmungen offenen Ebene. Dann konnte ich schon im Sommer zufolge meines Leidens nur wenige Schritte gehen u. mußte dann, hinten am Stock gestützt, anhalten, um Atem zu holen. Damit mich die Passanten nicht mitleidig anschauen, nahm ich mir immer eine Zeitung mit u. las in den Stehpausen, damit mich die Leute für einen eifrigen Zeitungsleser halten, der sogar auf der Straße das Lesen nicht lassen kann. Und da ist man doch im Sommer leicht gekleidet, so daß das Gehen leichter fehlt. Im Winter aber, mit den Goiserern [Anm.: Schnürschuhe - handgefertigt - aus Bad Goisern, Österreich] (ich muß doch öfters stehen u. das kann nur in warmen Schuhen geschehen), u. mit dem schweren Mantel - du hast ja sowohl Goiserer [Anm.: Schnürschuhe - handgefertigt - aus Bad Goisern, Österreich] als auch Mantel getragen u. kennst das Gewicht - wird mein Tempo noch mehr schneckenähnlich sein, und in der Kälte kann man doch keine Zeitung lesen! Da bin ich eine auf der Straße unmögliche Figur. Was die Mutter anbelangt, muß sie allein die Kübel mit Abwasser u. Abfallstoffen (menschlichen) zum Düngerhaufen schleppen. Die Latrine können wir im Winter absolut nicht benützen. (Mutter benützt sie auch im Sommer nicht). Gut, Wasser u. Holz lassen wir uns durch eine Hilfskraft, die zuweilen kommt, auf Vorrat bringen. Aber 2 Mal täglich die Abfallkübel, da hat man doch nicht die Hilfskraft zur Hand u. kann diese Arbeit auch keinem anderen Menschen zumuten. Wie lange noch wird dieses schwache Persönchen, das außerdem noch auf Besorgungen herumläuft, die Abfallkübel schleppen? So exerziert mit uns - sagen wir, das Schicksal - in Radauti. Das ist ja viel schlimmer, als hinter dem eisernen Vorhange, dort hatten wir ja doch im Hause Kanal u. Wasser (WC u. Zapfstelle in der Wohnung). Nun zu deiner Petrolherdangelegenheit. Bei reiflichem Nachdenken steigen mir gewisse Bedenken auf, von denen es gut ist, daß du davon Kenntnis nimmst. Die Art u. Weise, wie du die Bekanntschaft deines Partners machtest, (ist es ein Jude? Wenn nicht, dann umso schlimmer), bringt es mit sich, daß du in Fällen von juristischen Meinungsdifferenzen ihm gegenüber nicht freie Hand hast. Die jetzt am Ruder sind, fangen gerne jede Fliege auf, um die Aufmerksamkeit von ihren Elephanten abzulenken. Vielleicht besitzen oder schaffen sie ein gut funktionierendes Spitzelsystem, u. du wirst dir dann eine große Unannehmlichkeit aufgeladen haben. Hat dein Partner vielleicht von früher einen Mitwisser, dann schon gar. Wenn ferner ruchbar wird, daß du dich vorher mit Lieferungen befaßtest, also Geschäftsmann warst, dann ist dein politisches Konto so wie so belastet, u. ist dann die Möglichkeit deiner Verabschiedung ins Auge zu fassen. Ich empfehle dir die Lektüre der Zeitung "Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie" v. 1. Dez. 1948 (erscheint alle 14 Tage, auf deutsch), eines Propagandablattes durchaus ernster Prägung, Seite 2, "Neue Aufgaben etc.". Der Artikel handelt von czechoslovakischen Verhältnissen, doch bald wir hier Nachahmung stattfinden. Da wird jungen Arbeitern die Möglichkeit gegeben,

1.) Betriebsdirektor oder sonst leitender Beamter zu werden,
2.) Nach einjährigem Schnellsiederkurs zu maturieren u. dann die akademische Karriere einzuschlagen, um sukzessive alle Posten mit Parteimännern zu besetzen u. die bisherigen Kräfte zu eliminieren. Wenn du von der Patentsache ganz bedingungslos abschwenkst u. einen 3- oder 6-monatlichen, ideologischen Abendkurs durchmachst (du kannst dabei parteilos bleiben u. deine Gedanken zollfrei denken), dann hast du meiner Ansicht nach Aussicht auf technische Karriere, u. die willst du doch machen.

Was unsere Aufenthaltsveränderung betrifft: die Übersiedlung in ein mildes Klima mit zivilisiertem Stadtleben (Kanal, Wasser u. Bad) ist für uns eine Lebensfrage, sei es nach Bukarest oder sonstwohin.

Wir küssen dich, deine Alten.


Wir freuen uns überaus, dich zu Weihnachten zu sehen.

Hier ist es richtig kalt, wenn du kommst, dann versieh dich mit sehr warmer Kleidung u. Unterwäsche!!!

10.12.48: Das Wolfskonto


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 10/12 1948

Lieber Jul!

Am 8/12 früh haben wir das Bulletin [Anm.: rum. "Personalausweis"] der Mutter an dich abgesendet, express-rekomm. [Einschreiben, Express], u. hoffen dasselbe schon in deinem Besitz. Inzwischen kam dein telefonischer Anruf. Bis die Mutter v. Telefon zurückkam, dachte ich mir schon, wer weiß, was dort los ist, und war sehr aufgeregt. Erst als sie mir berichtete, um was es sich handelt, dankte ich Gott mit Tränen in den Augen, daß er mich nicht noch mehr gestraft hat, als er es mit dem armen Marzell [Maximilian Hauster] getan hat. Ich bin wohlauf u. helfe der Mutter im Haushalte, gehe jeden Vormittag in der Veranda spazieren, aber zum ausgehen kann ich mich nicht entschließen, weil ich das Radautzer Sachalinklima [Anm.: russische Insel im Pazifik, ab dem 19. Jahrh. Strafkolonie für russische Gefangene] auf den Tod hasse, zudem es mich so haßt. Ob wir den Aufenthalt in diesem halb-arktischen Schandpfuhle mit dem in der halbsüdlichen Metropole Bucuresti vertauschen möchten? Welch eine Frage? Warum muß ausgerechnet unsere bis auf uns 3 (u. noch die meines Bruders samt den Seinen) zusammengeschmolzene Familie ohne zwingende Notwendigkeit so zersprengt sein? Obzwar wir bestimmt hoffen, daß du dich recht bald in eine recht zahlreiche, vornehme Sippe glücklich hineinheiraten wirst, aber diesmal definitiv, bitte. Ich hoffe, daß man in den Bukarester Parks auch den Sommer ganz schön verbringen kann. Gibts einen in deiner Nähe? Und dann bin ich ja dort näher dem Israelstaate. Sogar bloß seine größere Nähe würde meiner Seele wohltun. Wir erwarten sohin mit gespannter Sehnsucht deine Ankunft, u. sind neugierig, wie du das arrangieren wirst. Die Sache mit dem Petrolherde klappt, oder sind noch Hindernisse zu überwinden? Ich bitte dich, einen Bukarester Vertretungsrayon [Vertretungsbezirk] für meinen Bruder [Anm.: Solomon Hauster] zu reservieren, er kann als teilweiser Platzagent gute Dienste leisten.

Wir küssen dich, deine Alten.


Die Redensart: Diesmal definitiv, bitte, ist auf Wunsch der Mutter geschrieben worden, es liegt daher kein Grund vor, dein Wolfskonto abzustrapazieren.

P. S. Daß du auf meine dringenden Termos-Wünsche nicht reagierst, beweist nur, daß auch bei euch keiner aufzutreiben ist.

06.12.48: Das American Jewish Joint Distribution Committee


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 6/12 1948

Lieber Jul!

Auf deinen Brief hin leiten wir sofort Schritte ein, um für die Mutter ein Ersatzdokument (Duplikat) des Bul[etin]. [Anm.: rum. "Personalausweis"] zu erhalten um das Original dir einsenden zu können. Auch wir müssen wegen des Mittelzimmers etwas machen. Die Winterhilfe v. 2000 Lei dankend erhalten, haben damit meine Arzt- u. Apothekenspesen gedeckt. Mutter muß gerade jetzt dasselbe Papier, das du verlangst, dringend haben, da ich u. sie auf der Jointliste
[Anm.: Kurzform von American Jewish Joint Distribution Committee] wegen Kleiderbeteilung stehen, vielleicht erhalten wir etwas Nennenswertes, wir werden alles Mögliche tun, um dir das Verlangte rasch rekomm. expreß [Einschreiben, Express] einsenden zu können.

Wir küssen dich, deine Alten.


Bitte bei Exp[ress]. immer das Aufgabsdatum zu schreiben, wie ich es tat.

05.12.48: "Jawneh" zum Letzten!


Elias Hauster an den Kulturverband "Jawneh", Bukarest
:



Kopie

Radauti, 5. Dezember 1948

Verehrter Kulturverband "Jawneh" Bukarest

Im Jahr 1946 habe ich an einem von Ihnen veranstalteten Literaturwettbewerb teilgenommen. Mein Motto lautete "Ofar charuzim", unter dem Pseudonym Golde Weber-Ellenbogen, während ich damals in der Str. Cosarilor Nr. 16 wohnte. Bis heute haben Sie sich nicht die Mühe gegeben, mir mein Manuskript zurückzusenden. Ich erlaube mir, Sie zu bitten, mir mein Manuskript unverzüglich per Post zur Verfügung zu stellen. Im Ablehnungsfall werde ich gezwungen sein, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ing. Ilie Hauster, Radauti

gegenwärtige Wohnung: Str. Dr. Jancu Nistor 55

kopiert

02.12.48: Je größer das Handelsobjekt, desto größer der Verdienst!


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 2/12 1948

Lieber Julius!

Gestern erhielten wir deine telegraphische Winterhilfe (2000 Lei), wofür wir die wärmstens danken u. hoffen, daß dir das Abwerfen dieses Betrages nicht zu schwer fiel. In Fortsetzung (u. diesmal Schluß) meiner Kontinente umfassenden, spekulativen Träumereien, die du mir übel zu nehmen hoffentlich gar keinen Grund hast, möchte ich dich an den simplen Bahnbeamten Gredinger erinnern, der durch sein [Vassilkoisch] geschultes Frauchen angeleitet, in Persien Bahnen baute. Warum solltest du es verschmähen, aus der Konjunktur eines Staatsaufbaues, die nur einmal in 2000 Jahren wiederkehrt, Kapital zu schlagen? Bei aufmerksamem Lesen der "Vieata Evreasca" [Anm.: rum. "Jüdisches Leben"] u. dgl. wirst du gleich drauf kommen, was die linken Israeler jetzt brauchen: Transportgelegenheiten zu Luft u. zu Wasser für neue Immigranten (von deutschen Lagern kommen dieser Tage 2000 Immigranten per Aviso [Anm.: span. veralt. "kleines Kriegsschiff"]). Du hast ja einen bekannten Schiffskapitän, vielleicht kann er hier Verbindung mit Schiffsreedern verschaffen? Endlich, wie gesagt, besteht ein unbegrenzter Bedarf an vorfabrizierten Häusern (in Sowjetrußland bereits im Schwunge!), besonders wenn sie auf Kredit gegeben werden. Amerikanische Kredite warten auf Placierung, an Krediten läßt sich separat verdienen. Ich schmeichle mir, etwas dazu beigetragen zu haben, daß du dich mit diesem ganzen Fragenkomplex befassen wirst, denn je größer das Handelsobjekt, desto größer der Verdienst!

Wir küssen dich, deine Alten.

28.11.48: Der Gesandtschaftsattaché für Kulturpropaganda


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 28/11 1948

Lieber Julius!

Heute haben wir deine telegrafische Geldsendung von 2500 Lei herzlichst dankend erhalten. Wahrscheinlich hast du die Sendung nach Erhalt unseres Briefes, worin ich dir meinen Krankheitsfall beschrieb, abgehen lassen. Dr. [Brenner] hat seine Arbeit gut geleistet, ich verlasse mit Gottes Hilfe heute das Bett, Mutter wird erleichtert aufatmen. Nun kommt mein großes, Kontinente umfassendes Projekt, das aber kein Traum ist, sondern den Vorzug hat, durchführbar zu sein. Ich strebe an, zum rum. Gesandtschaftsattachee für Kulturpropaganda in Tel Aviv ernannt oder zumindest in einer solchen Mission dorthin gesandt zu werden, mit der Verpflichtung, rumänische Dichterwerke bei den [h]ebräischen Lesern populär zu machen, die ganze Sache kostet den Staat keinen Pfifferling, denn die Funktion ist ehrenhalber, die Reisekosten (per Avion [Anm.: frz. "Flugzeug"]) werden aufgebracht werden, nur muß mir der Bezug meiner Pension ermöglicht werden, was ja leicht zu machen sein wird (in Pal. Pfund). Die Befähigung zu meinem Posten weise ich durch das dir bekannte, Kunstadt. [Anm.: s. Brief vom 14.09.47] Gutachten nach, du würdest so unsere weitere Existenzfrage radikal lösen. Nur eine Schwierigkeit ist dabei: mein fortgeschrittenes Alter. Aber viele Große der Wissenschaft u. Kunst haben ihre Meisterwerke erst in hohem Alter geschaffen, u. schließlich ist Mister Churchill noch ein ganz patenter Kerl. Also in Gottes Namen, frisch drauf los! Irgend jemand ist zum Handelsattachee ehrenhalber dortselbst ernannt worden, warum solls bei mir nicht gehen? Vielleicht kann ich dir dort wichtige Beziehungen schaffen! Laß dich durch Schwierigkeiten nicht abschrecken, wie immer sie auch zu überwinden sind, die Sache ist des Schweißes der Edlen wert (siehe Bubi Greif)! Auf meine Gesundheit würde sich die Reise u. der dortige Aufenthalt nach Ansicht Dr. Rachmuts (der in 2 Wochen samt seiner Frau hinfährt), sehr günstig auswirken. Sollte dir die Möglichkeit einleuchten, dann schicke ich dir sofort ein Kunstadt'sches Originalgutachten [Anm.: s. Brief vom 14.09.47], bitte also sich dringend mit der Sache zu befassen. Pläne, die Kontinente umfassen, wollen heute im Zeitalter des Jankee-Clippers nicht viel sagen. Wir ersehnen deine Stellungnahme u. küssen dich, deine Alten.

Bitte die Sache nicht stillschweigend übergehen! Du bekommst von mir dann beliebig viele Valuten. Denn Diplomatenpost ist zensurfrei! Bitte um Stellungnahme, so oder so!

Deine Patentsache ist sehr interessant. Hoffentlich schenkt mir Gott noch soviel Lebensdauer (nach 70 Jahren ist jeder Tag geschenkt), um am Radauter Platze eine Anzahl Apparate abzusetzen. Deine Seitenstacheln ("Schulmeisterei", "Taktfehler" etc.) schreiben wir auf dein Wolfskonto. Sei ein gesunder Wolf u. weiter stachlig. Aber das eine bedenke: Mit des Geschickes Mächten …, der Mensch ist nicht aus Eisen. Wenn dir der kleinste Krankheitsfall zusetzt, wer reicht dir ein Glas Wasser? Es ist nicht nur nicht gut, sondern direkt gefährlich, daß der Mensch allein sei! Die Gesellschaft deiner Katze - ist für die Katz. Hast du - so oder so - endlich die Tante Gusta abgebeutelt? Wie steht es mit deiner cetatenie? Wir danken dir herzlich für deine textliche Gratulation u. wünschen uns, an dir noch viel Freude zu erleben. Wir küssen dich, deine Alten.

P.S. Ich las in den Zeitungen schon vor einigen Jahren von einer ähnlichen Erfindung in Palästina. Vielleicht ist das Vergasungssystem ein anderes. Im Falle eines Patentstreites werdet Ihr ein Zusatzpatent anstreben müßen. Hast du jetzt für meinen Hosenkopf Interesse? (ganz abgeändert)

22.11.48: Jede Zeit hat ihren Wissensdefekt.


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 22/11 1948

Lieber Julius!

Da sind wir also bei der altgewohnten Titulatur und wir wollen uns die Frage verkneifen, warum dir die Ansprache "lieber Sohn" so unsympathisch ist, daß du sie hervorzustreichen für wert findest. Wir danken dir herzlich für den nun folgenden Text zu den Ziffernnoten. Mögen wir an deinem Wohlergehen noch viel Freude erleben! Die Schulmeisterei mußt du uns zugute halten. Auch du wirst mit Gottes Hilfe einmal alt u. wirst dich mit deiner Lebenserfahrung gescheiter dünken, als ein Stammhalter: er wird es dir übelnehmen, u. so werden sich unter der Sonne alle Dinge wiederholen. Bei uns wäre das nicht geschehen, hättest du uns die Details über die nunmehrigen Verhältnisse der Schella früher mitgeteilt. Jetzt erst können wir uns unsern Teil denken. Die Familie Brecher kennen wir übrigens sehr gut, die Schwester der alten Frau Brecher, geb. Sali Katz u. vereh. Dr. Schojowitz, hat als Schul- u. Dutzfreundin deiner Mutter dieselbe oft zuhause besucht. Die Periode in er wir leben, zeichnet sich durch 2 grobe Irrtümer aus. Jede Zeit hat ihren Wissensdefekt. Früher glaubte man ja auch, die Erde sei eine Scheibe, u. die Welt sei in 6 Tagen erschaffen worden. Ähnlich große Irrtümer, nur von viel weitreichenderen Folgen, sind,

1.) daß der Staat, der doch das Alleinrecht auf Waffengebrauch gegen die eigenen Bürger hat, auch ausschließlicher Arbeitgeber sein kann,

2.) daß der Fixlohn nicht nur deswegen so heißt, weil er zu einem fixen Zeitpunkte auszuzahlen ist, sondern daß auch sein Quantum fix ist. Den Schimpf, den ich dir mit der Bezeichnung Fixlöhner angetan habe, trägst du in guter Gesellschaft: die restliche, ganze Beamtenhierarchie, von dir abwärts u. aufwärts, bis incl. des Ministerpräsidenten, besteht aus Fixlöhnern, die alle möchten gerne ihren "Schimpf" recht lange tragen.

Unsere kontinentale Träumerei hilft uns, über die Gegenwart hinwegzukommen. Deine Beschäftigung mit Physik u. Mathematik war ein technisches Privatvergnügen u. hat deinen Geist rege erhalten. Praktischer Zweck war ihr von vornherein abzusprechen. In der Atomphysik gibt es jetzt, wegen der enorm kostspieligen Einrichtungen, keine Amateure u. Zufallsentdecker, bei Radio z. B. arbeitet an jedem Stromkreise einer Senderanlage, wie du ja selbst auch gelesen haben mußt, nur ein solcher Spezialist, der im betreffenden Stromkreise besondere Erfahrungen hat. Jede Beschäftigung mit solchen Sachen war bei dir deswegen von vornherein auf das Gebiet der zeittötenden Spielereien zu verweisen, der richtige Weg, seine freie Zeit praktisch zu verwerten, sind eben praktische Erfindungen, wie z. B. Gasapparate, Hosenknöpfe [Anm.: s. Brief vom 15.05.46] etc. In Radauti z. B. würden auch Petrolöfen u. Glühstrumpf-Gaslampen, nach deinem Prinzipe betätigt, einschlagen, weil das el. Licht hier nur halbnächtig funktioniert u. an der Peripherie oder zur Zeit der Spitze miserabel ist, so daß man gewöhnliche Petrollampen dazunehmen muß. Gottlob, daß du, wenigstens du, flott darauf loslebst, du bist der Zinsenertrag unseres Lebenskapitals. Ob wir in unseren letzten Jahren noch den Segen eines Baderaumes oder das Licht der Schönheit, das vom Radioapparat gespendet wird, erleben - was liegt daran? Wer geschenkte Kleider trägt, soll an so etwas nicht denken. Höchstens, du reservierst uns einen Rayon [Bezirk] in deiner zu kreierenden Timisoarer Vertretung, dieser Traum umfaßt wenigstens keine Kontinente. Das Alleinbleiben des Menschen hat noch eine andere, tiefe Schattenseite: im Alter hat man niemand, der für einen eintritt. Wir wünschen in unseren geheimen Gedanken, daß du vor dieser Schattenseite bewehrt bleibst. Nun zu deinem Patentanteil. Das hast du gut eingeleitet, die Sache interessiert uns enorm. 2500 Lei komplett incl. Gasherd? Das wäre ja ein Schleuderpreis, aber tut nichts, dafür wird der Absatz groß sein. Kann man nicht auch in Heizöfen (aus Eisen) einen solchen Brenner einbauen? Wir haben einen grandiosen Agenten in petto: Frl. [Ris]! Keine Besorgnis, wir sprechen mit niemand davon. Wir wollen gerne den Radauter Platz bearbeiten, aber können wir nicht in absehbarer Zeit wenigstens ein Stadtviertel von Timisoara als Rayon [Bezirk] zugewiesen erhalten u. dorthin unsern Wohnsitz verlegen? Der Ort dort ist selbst ein klimatischer Kurort, milde Temperatur, Kanal, Wasserleitung .....

16.11.48: Vorsicht, du bist dein und unser Alles!


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 16/11 1948

Lieber Sohn,

Wir senden dir den von Tante Gusta erhaltenen Brief, worin sie dringend bittet, 5 Photos [Anm.: verm. 5000 Lei] an eine dir mitgeteilte Adresse in Oradea einzusenden u. dann ihr das Rezepisse [Empfangsquittung] zu schicken. Sicher handelt es sich um eine von ihr in Oradea kontrahierte Schuld. Wir beruhigten sie in einem vorsichtigen Schreiben u. bitten dich, ihrem Ersuchen nachzukommen, u. zw. womöglich baldigst. Wir schrieben ihr, daß sie nicht die einzige ist, die sich auf eine Zeile von dir die Augen ausguckt, sondern daß es uns ebenso ergeht. Wir sprachen die Vermutung aus, daß du dort von etwas sehr Wichtigem in Anspruch genommen sein dürftest - wenn es nur etwas Gutes ist! A propos, wenn dir die Auftreibung eines T[h]ermos gelingt, dann meine ich nicht eine Gummi-Wärmeflasche, sondern einen T[h]ermos aus Glas für Getränke. Dieses für mich lebenswichtige Requisit (1/2 lit, im Notfalle 1/4 lit) ist in Radauti nicht aufzutreiben. Das darf nicht per Post geschickt werden, weil es dort sicher zerbricht. Nur per Gelegenheitskurier. Sonst nichts Neues, als daß wir von dir eine Zeile erwarten.

Wir küssen dich, deine Alten.


P.S. Nachträglich stiegen mir Bedenken auf. Am Konsulat weiß man also von dem "Geschäft". Vielleicht läßt du dich doch lieber in eine solche Affaire nicht hineinziehen? Du schreibst ihr das vielleicht ein für allemal klipp u. klar. Eher kannst du das Geld an ihren Sohn [Anm.: Fritz Bardach] schicken - Str. Norocului 25, Radauti, u. er kann damit anfangen, was er will. Sie zieht gerne andere Personen in ihre Affairen hinein …. Also Vorsicht, du bist dein u. unser Alles!

09.11.48: Von heute an ist mir jeder Tag ein von Gott geschenkter.


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 9/11 1948

Lieber Sohn!

Für deine Gratulation in Ziffern (1500 Lei) die wir dankend erhielten, möge Gott deinen weiteren Lebensweg zu Glück ebnen. Wenn es Lieder ohne Worte gibt, warum soll es nicht Gratulationen ohne Worte geben? Wir sind nun 44 Jahre - "bis 120" verheiratet, während ich das biblische Alter [Anm.: Geburtstag Elias Hauster 09.11.1878] zurückgelegt habe. Von heute an ist mir jeder Tag ein von Gott geschenkter. Ich sehe immer mehr ein, daß das Schmieden von Reise- u. sonstigen Zukunftsplänen für mich jeden Sinn verloren hat. Vom Gesichtswinkel meines Lebensalters betrachtet man die Dinge ganz anders: Die Zukunft gehört der Jugend, also dir, mein ist das, was mir die Vergangenheit beschert hat: ein buntes Gemisch von Streben u. Erreichen, Fehl und Leid. Gottlob dafür, es hätte schlimmer ausfallen können (mit Ausnahme des armen Marzell [Anm.: Maximilian Hauster], wo es so schlimm ausgefallen ist, daß es ärger nicht hätte sein können). Du hast sehr viel für uns getan, hast uns mit dem herausführen aus dem Ghetto das Leben gerettet u. uns dann später das Leben ermöglichst, was du auch jetzt noch tust. Dank deiner Obsorge schlafen wir auf menschenwürdigen Betten u. haben nun uns menschenwürdige Räume. Dir hat Gott das Glück beschieden, deinen Eltern helfen zu können, ich konnte für meine Eltern nicht soviel tun. Nur die Einsamkeit ist das Los des Alters, die kannst du durch öftere, wenn auch kurze Nachrichten mildern. Wir würden uns sehr freuen, wenn du recht bald wieder eine Ehe eingehen u. einen Hausstand resp. eine Familie gründen könntest u. küssen dich, dein in tiefer Dankbarkeit gedenkend, deine alten Eltern

Bitte um Nachricht über das Los der uns sehr lieben Schella.

28.10.48: Wie konnte das soweit kommen?


Marjem Hauster an Julius Hauster:





28/X 1948

Liebster Julius!

Der Vater stellt mir seine Handschrift zur Verfügung, aber ich, deine Mutter schreibe dir. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr gewinnt deine eheliche Katastrophe über mich Macht. Ich kann den Gedanken nicht loswerden, daß du den größeren Teil der Schuld trägst. Eine Ehe ist, nach meiner dir vielleicht veraltet erscheinenden Meinung, kein leichtes Kinderspiel, sondern eine Gemeinschaft fürs ganze Leben, eine Schicksalsgemeinschaft, die den Zweck hat, in späteren Jahren nicht allein dazustehen. Das Alleinsein ist eine der furchtbarsten Altersplagen. Da müssen dann beide Teile vom ersten Momente ihrer Gemeinschaft an daran Mühe aufwenden, sich aneinander anzupassen. Gegenseitige Willensunterordnung muß sein, um ein erträgliches Zusammenleben zu erzielen. Ist dies, was dich anbetrifft, geschehen? Wie konnte das soweit kommen? Schella war und ist ein sehr tüchtiger, weiblicher Mensch, mit einigen Schwächen vielleicht. Aber bist du vollkommen? Wer ist vollkommen außer dem Herrgott? Glaubst du, daß die, welche du als Nachfolgerin wählen wirst, ganz vollkommen u. fehlerlos sein wird? Wenn du uns das persönlich plausibel machen könntest, wäre es ein Lichtstrahl, der in unser Leben fällt. Ist dir das aber zu kostspielig u. schwer, dann rationiere uns wenigstens nicht so streng mit Nachrichten u. bringe uns wenigstens nach u. nach schriftlich bei, wie das alles geschehen konnte. Es küßt dich deine um dich sehr tief besorgte Mutter.

Was ist jetzt das Schicksal der Schella? Hat sie sich schon wieder verheiratet?

Elias Hauster am Julius Hauster:

Lieber Sohn!

Was ich dir in punkto deiner auseinandergegangenen Ehe schreiben wollte, hat mir Mutter schon vorweggenommen. Mir bleibt nur noch übrig, dir von unseren Ausblicken zu schreiben. Ich möchte wissen, ob du entschlossen bist, im Lande das Leben eines Fixlöhners zu führen u. hier zu bleiben, oder ob du es vorziehst, nach Eretz [Land Israel] zu übersiedeln. Wir Alten werden uns nach dir richten müssen, obzwar uns das Verbleiben hier durch das Regime unmöglich gemacht wird. Denn unsere Lebensportion ist so bemessen, daß wir uns das Essen (sehr bescheiden, fettlos, nur satt) bestreiten können. Wollte ich mir eine Hose anschaffen, dann müßten wir hungern. Unsere Habe ist unter verschiedenen Vorwänden geplündert, wie lange kann man ein Kleid tragen, bis es übel riecht u. in Fetzen herunterhängt? Das ist das Schicksal, das uns hier zugedacht ist. Ich hoffe, auch in Eretz [Land Israel] nicht Hungers zu sterben, zu verlieren haben wir Alten daher hier nichts. Ich leide hier z. B. sehr unter dem Mangel eines T[h]ermos. Ist es dir wirklich unmöglich, mir per Gefälligkeitskurier ½ lit. T[h]ermos zukommen zu lassen? Er ist in Radauti absolut nicht zu bekommen, sonst würde ich dich nicht belästigen. Ich wollte dir schon schreiben, daß du uns die Kosten des T[h]ermos von deinem uns zugedachten Zuschusse in Abzug bringen kannst, aber erfreulicherweise ist es hierfür diesmal zu spät, denn soeben haben wir herzlichst dankend deine telegraphische 2000-Leisendung erhalten. Wir haben das Bezugsrecht für 3000 kg Holz f. d. ganzen Winter, versorgt sind wir von früher her bis 1. Dezember. Wir studieren, was wir mit dem Holzbon anfangen sollen. Per Raummeter kommt es auf 740 Lei frei ins Haus zu stehen. Wir danken dir nochmals u. küssen dich, deine Alten.

Bitte unbedingt um ausführliches Schreiben!

P.S. Bezüglich der Schuhe: meine in Cernauti i. J. 1943 gekauften Schnürschuhe (Pseudo-Goiserer)
[Anm.: Schnürschuhe - handgefertigt - aus Bad Goisern, Österreich] aus Schweineleder mit Gummi auf Pappsohlen, haben sehr schön bis heute gehalten, sind aber jetzt nur bei Trockenheit oder glattem Schnee brauchbar, da eine Sohle ganz gespalten ist. Reparatur ist nicht lohnend bezw. unmöglich. Ich helfe mir bei feuchtem Wetter, Schneepatschwetter etc. mit deinen Sommerhalbschuhen, die noch sehr gut sind u. die ich bekanntlich mit neuen Gummisohlen versehen habe. Ich denke, daß du deine Goiserer in der Wüste, Radauti genannt, selbst wirst tragen müssen. Nur wenn du das absolut nicht zu tun beabsichtigst, empfiehlt sich die Hersendung. Bezüglich der Ausreise: Inzwischen müssen wir uns ja "Masel Tow" sagen, denn der Judenstaat ist geboren worden. Vielleicht nimmst du das Ausreisevisum dorthin? Das bekommst du sicher. Von dort kann man zu Wasser oder zu Luft eher weiterkommen. Bitte diese Möglichkeit ernstlich zu erwägen. Noch lange Zeit in Europa zu verzetteln erachte ich für sehr riskant.*

Küsse die Alten.

* Gerade die Visumverweigerung ist höchst verdächtig. Leute sprechen uns spontan an: "Ihr Sohn soll hier nicht bleiben". Wir reden natürlich von eurem Vorhaben zu niemandem ein Wort.

07.10.48: Der Heißhunger nach neuen, verwandtschaftlichen Beziehungen


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 7/10 1948

Lieber Sohn!

Deine neue Zivilstands-Situation ([rum.] starea civila) gibt uns, je mehr Zeit dazwischen vergeht, zu denken. Wir können den Gedanken nicht loswerden, daß zu so kritischen Zeiten ein Alleinsein nicht förderlich ist. Es drängt sich uns die Parallele mit dem armen Marzell [Anm.: Maximilian Hauster] auf: Wenn er unsern Herzenswunsch seinerzeit erfüllt u. die Mela [Anm.: Melanie Vawga (Bardach)] in Paris oder sonstwo geheiratet hätte, er wäre heute am Leben, denn er hätte jemanden gehabt, der ihm in entscheidenden Augenblicken den richtigen Rat erteilt hätte. Wir glauben daher, du müßtest nach einer neuen Lebensgefährtin Umschau halten, womöglich aus weitverzweigter Familie der oberen Zehntausend, um in jeder Beziehung, was man so nennt, Anlehnung zu haben. Jetzt wirst du schon hoffentlich Erfahrung haben, wie eine Frau zu behandeln, mit der man bis zum seligen Ende durchhalten will. Es wird dich vielleicht interessieren, daß in meiner Familie nicht auch ein Stück Romantik fehlt, deren direkt Beteiligte schon längst im Reiche der Schatten weilen. Zuliebe der Schwester meines Vaters übertrat ein Bruder (oder Neffe?) des weiland ungarischen, katholischen Erzbischofs Hussar zum Mosaismus [Anm.: jüd. Religionsglaube] u. heiratete sie. Aus dieser Ehe stammten 2 (oder 3?) Söhne, die nicht mehr am Leben sind: einer war chem.-Pharmazeut u. Direktor einer Parfumfabrik (Josef Hussar), der andere war Herausgeber des bukar. Wochenblattes "Bursa" [Anm.: rum. "Die Börse"]. Mit beiden, die in Bukarest wohnten, nahm ich vor ~ 28 Jahren die Korrespondenz auf, Josef sandte uns ein Pakett mit Parfums u. Liquören, Produkte der von ihm geleiteten Fabrik, der "Bursa" [Anm.: rum. "Die Börse"] Direktor samt sehr distinguierter Gemahlin kamen nach Cernauti, um uns zu sehen u. sandte mir jahrelang - bis an sein Lebensende - die "Bursa" gratis zu. Er dürfte 2 Söhne hinterlassen haben, auch Töchter, allesamt zu ihrem angestammten christlichen Glauben zurückgekehrt u. mit Christen resp. Christinnen verheiratet. Wenn du also auf einen dieser Sippe stoßen solltest, wäre es vielleicht gut, die Beziehungen aufzufrischen. Seit deiner Scheidung haben wir für dich, da deine Beziehungen mit den Greifs gelöst sind, einen wahren Heißhunger nach neuen, verwandtschaftlichen Beziehungen. Vor einigen Jahren erfuhr ich, nebstbei bemerkt, daß ein junger Ing. Hauster, aus Polen stammend, samt seiner Frau in Cernauti weilte. Da mein Vater aus Rohatyn stammt, dürfte dieser Ing. der Sohn eines meiner Vettern sein. Vielleicht hat er sich nach Bucuresti gewendet? Was mich anbetrifft, bitte ich dich ausdrücklich, dich dort fortlaufend bei Ärzten, mit denen du Verkehr hast, zu interessieren, ob nicht eine neue, erfolgversprechende Behandlungsmethode für mein Leiden (Lungenemphysem) aufgekommen ist - vielleicht Phenicilin, das ja gegen diverse Krankheiten verwendet wird, oder sonst etwas? Zu Inhalationen von Menthol u. Eukalyptus verwende ich den [...]zerstäuber, den ich habe reparieren lassen. Bei der Rückenmassage helfe ich mir durch Klopfen mit einem Stück Gummischlauch. Nur ein (1/2 Liter) T[h]ermos ist hier nicht erhältlich, so etwas findet man nur in Bucuresti. Wenn ich den hätte, würde ich öfters warme Ziegenmilch schlucken können, die für Lungenschwächlinge sehr zu empfehlen ist. Könntest du mir nicht ½ lit-T[h]ermos durch einen Gefälligkeitskurier zukommen lassen? Lieber wäre uns, wenn du selbst abkommen könntest, denn wir sind in punkto Kleider u. Wäsche (so z. B. für mich ein Sacco) ganz souterrain. Deine seinerzeit gestifteten Hemden waren ganz fadenscheinig. Nach einer längeren Benutzungsdauer (schließlich sind wir ja doch schon 2 ½ Jahre hier) mußten sie in Taschentücher umgewandelt werden, sofern dies überhaupt möglich war. Wenn unser Exil noch lange dauert, werden wir alle bald in Fetzen gehen ähnlich den Vogelscheuchen.

Wir küssen dich, deine Alten


Wenn du Schella siehst grüße sie von uns bestens. Vielleicht strapazieren wir statt dich persönlich lieber die Pakettpost? Läßt sich die Knopfidee [Anm.: s. Brief vom 29.09.48] vermarkten??

Bitte umgehend Nachricht, ob du die Staatsbürgersch.-Dokumente rechtzeitig erhalten hast u. ob die Verhandlung stattfand. Dokumente bitte retour nach Gebrauchnahme.

04.10.48: Ich bin wegen der Vorgänge in deinem Privatleben sehr gekränkt.


Elias und Marjem Hauster (Fleischer) an Julius Hauster:




Radauti 4/10 1948

Lieber Julius!

Heute herzlichst dankend deine Geldsendung von 2000 Lei erhalten. Die Mutter läßt dich bitten, dich von deinen Freundschaften nicht zu sehr in Anspruch nehmen zu lassen. Wir laden dich auf eine Erholungsreise nach Radauti ein, damit du von deiner anstrengenden Tätigkeit einige Tage ausspannst. Du könntest dabei auch etwas abgelegte Literatur mitnehmen, die du uns ja so wieso einsenden wolltest, damit uns die Zeit nicht zu lang ist.

Lieber Jul!

Ich bin wegen der Vorgänge in deinem Privatleben sehr gekränkt, Du wirst, in kritischen Situationen, die im Leben eines jeden Menschen nicht ausbleiben, nicht haben, wer Dir rathen soll, wie zum Beispiel Dir zu langen Jahren der Marcell. Ich bitte Dich, wenn du abkommen kannst, einen Sprung nach Radautz zu machen. Auf alle Fälle wünschen [...] wir Dir Gesundheit u. Glück zum neuen Jahre. Wir küssen dich deine alten Eltern. Schreibe bald etwas gutes u. komme.

29.09.48: Scheidung, Süd-Sachalin, die "Struma" und der Hauster'sche Patentknopf


Elias Hauster an Julius Hauster:





Radauti 29/9 1948

Lieber Sohn!

Das Leben stellt einen vor Situationen, so daß man nicht weiß, wie man es anpacken soll, um dazu innerlich Stellung zu nehmen: Wir haben lange herumgeraten, aber jetzt erst kennen wir den Grund deiner langen Schreibpause, in deinem Leben ist etwas gestorben: dein junges Eheglück. Warum? Da muß man beide Teile hören. Vor 29 Jahren hat jemand [Anm.: Elias Hauster], vor dessen poetischem Geschreibsel du einen Brechreiz verspürst, folgendes (in Wien) hingeschrieben:

"Mir war von Schicksals gütiger Hand
Ein seltenes Glück verheißen:
Mir winkt', wie durch Grotten u. Wüstensand
Eines kostbaren Schatzes Gleißen.
An mir war's, zu finden den richtigen Spruch,
Um Eigner des Schatzes zu werden:
Ich wurd' gleich zum Prinzen im Märchenbuch'
Zum glücklichsten Waller [Anm.: veraltet "Wallfahrer"] auf Erden ...

Du bargst einen Schatz von Lieb' und Treu,
Von süßem, sel'gem Empfinden,
Und ich, ich mühte mich stets aufs Neu',
den Schlüssel zum Schatz' zu finden.
Nun ist meines Lebens Frühling fort,
Mein Jugendtraum längst zerstoben,
Ich fand nicht das richtige Zauberwort:
Der Schatz blieb ungehoben."

(Die Strophen wurden von einem richtiggehenden Dichter später als unsagbar schön gestempelt).

Übrigens war der Inhalt nur spielerische Schöntuerei, der Schatz wurde ganz gründlich gehoben. Aber liegt vielleicht bei dir der Sachverhalt ähnlich? Unserer Vermutung ist ein weiter Spielraum geboten. Aber machen wir unter der Vergangenheit einen Strich: Die Eheschließung ist für Menschen gemacht, u. im Leben eines Menschen kann verschiedenes vorkommen. Durch reiflichere Erwägung bin ich zur Ansicht gelangt, daß wir, um einzeln nach Bucuresti zu reisen, nicht entsprechend in Form sind. [H]Ebräische Handelskorrespondenz kann ich selbst (an der Hand eines einschlägigen Fachbuches im Rumänischen od. Deutschen) erlernen u. bedarf dazu keiner Anleitung. Als Translator kann ich schon jetzt fungieren, so daß mir für den Fall einer Alijah [Anm.: hebr. "Auswanderungswelle nach Palästina"] ein Tätigkeitsfeld gesichert ist. Die "kosmischen Strahlen" sind nichts anderes als die seelischen Reflexe, die von der kommenden Welterschütterung hervorgerufen werden. Ich habe den Ausdruck "anschnauzen" nicht auf uns bezogen, lies genauer: Wenn man die Bukar[ester]. zion[istischen]. Klicken [Cliquen] zu Gesicht bekommt, dann hilft nur ein keckes Anschnauzen. Mich hast du nur, wie ich genau sagte, abgekanzelt. Ist es vielleicht derselbe Herr, mit dem du eine Auseinandersetzung wegen des Anzugstoffes [Anm.: s. Brief vom 15.05.46] hattest? Wenn ja, dann hat er sich gehörig revanchiert. Es ist richtig, daß jetzt bei dir die Blutkomponente Ehrlich - Fleischer zur Wirkung gekommen ist. Eigentlich ist es nur die Ehrlich'sche Komponente (wie z. B. bei Hermann Ehrlich), denn der alte Fleischer war ein grundgütiges, harmloses Naturkind und allen Ehescheidungen abhold. Aber soviel muß gesagt werden: kulturell ist der Tausch in deinem Umgange höchst vorteilhaft, der Schritt von einem Gratar [Anm.: rum. "Grill", verm. abf. verw. i. S. von "Fressgelage"] mit Schwips zu Museen ist eine durchaus glückliche Wendung. Mit einem Kulturmenschen kann man nur gewinnen. Was uns jetzt nicht beschieden ist: Radio-Ouvertüren von Beethoven, Bad und Museen, das zu genießen bist wenigstens du in der Lage. Wir hatten trotzdem nicht einmal im Traum den Einfall, deine Logiergäste sein zu wollen. Mit unserer Wohnung, abgesehen vom Mangel eines Bades u. eines W. C. unter Wohnungsverschluß - sind wir, hauptsächlich wegen des Gartens, sehr zufrieden, nicht aber mit dem Wohnorte, einem kulturentlegenen Dorfe mit dem Klima von Süd-Sachalin [Anm.: russische Insel im Pazifik, ab dem 19. Jahrh. Strafkolonie für russische Gefangene]. Was wir anstreben, ist eine kl. Wohnung (Zimmer u. Küche, Brausezelle, Radio, W. C. u. Hausgarten) in einem Kulturorte mit mildem Klima, wie z. B. Timisoara. Das Klima könnte uns nach Palästina treiben, wenn es soweit ist, daß, wie es heißt, alle Juden hinwandern werden. Doch glaube ich, daß vorher die große Weltabrechnung kommt, u. heißt es vorderhand, diese überleben. Churchill (der Massenmörder der "Struma-Opfer" [Anm.: jüdisches Flüchtlingsschiff nach Palästina, dem von der britischen Regierung die Einreise verweigert wurde, von sowjetischem U-Boot versenkt, 768 Tote, 1 Überlebender]) sagte, ein kommender Krieg wird 6 Tage, doch die Leichenbeerdigung 6 Monate dauern. Wir glauben, daß du in Radauti ("Süd-Sachalin" [Anm.: russische Insel im Pazifik, ab dem 19. Jahrh. Strafkolonie für russische Gefangene]) sicherer wärest, als in Bucuresti. Vielleicht wird doch die Frage eines praktischen Hosenknopfes [Anm.: s. Brief vom 07.07.46] wieder aktuell, auf den Millionenarmeen warten? Ich habe die techn. Idee desselben folgendermaßen abgeändert u. patentreif gemacht: (Zeichnung) Der Stift wird in den Knopf eingesetzt u. in 2 auseinanderfedernde Hälften geschlitzt, die beim durchstecken durch den Stoff mit dem Finger zusammengeklemmt werden. Nach dem durchstecken federn die Stifthälften auseinander. Sodann wird über dieselben ein Schuh gesteckt, der 2 schiefe Taschen aufweist: (Zeichnung) (im Schnitt). Das Taschengehäuse kann beliebig, auch kreisscheibenförmig, geformt sein. (Zeichnung) Durch Druck mit einem harten Gegenstande wird der Schuh dann zusamt den drinbefindlichen Stifthälften plattgedrückt, die letzteren (Zeichnung) bewirken dann die Sicherung gegen herausfallen. Unser Gesundheitszustand hat sich halbwegs normalisiert. Zu einer gründlichen Besserung meines Gesundheitszustandes benötige ich: 1 Geradhalter mit Wirbelsäulenstütze an der kritischen Stelle (nur von einem tücht. Ban[da]gisten zu machen), 1 Elektromassageapparat, wie für Gesichtspflege, aber für Rückenmassage zu verwenden (Betrieb elektrisch, Massage mechanisch), 1 T[h]ermos (3/4 - 1 lit), 1 Taschenzerstäuber samt Medikament für Asthmaleidende (es gibt solche in renommierten Apotheken). Das Papier ist geduldig. Vielleicht erwirbt uns dazu der Hosenknopf die Mittel? Die Staatsbürgerschaftsdokumente habe ich sofort express recom. [eingeschrieben] an deine Adresse abgehen lassen. Sind sie rechtzeitig eingelangt?

Wir küssen dich, deine Alten.

28.09.48: Dein Express hat uns stark aufgepulvert.


Elias Hauster an Julius Hauster:




Radauti 28/9 1948

Lieber Jul!

Dein Express [Anm.: verm. Benachrichtigung über die Scheidung von Rachel Hauster (Greif)] hat uns stark aufgepulvert. Wir haben nicht viel Zeit zu schreiben, da ich auf d. Post mit dem Antwortbrief an dich "laufen" muß (wie ich schon laufe). Sieh darauf, den Staatsb[ürgerschafts].-Akt zurückzuerhalten.

Wir küssen dich, deine Alten.


Alles frühere in meinen Briefen war ["... ]Schmuß" [Anm.: österr. "Blödsinn"].

24.09.48: Zu dieser Altersvergeßlichkeit kommen noch die politisch bewegten Zeiten.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 24/9 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Jetzt wissen wir, warum ihr uns solange nicht geschrieben habt u. warum Schellachen überhaupt keinen Buchstaben schreibt: wir haben in der Vergeßlichkeit des Alters euren Hochzeitstag übersehen und euch zu diesem Tage nicht rechtzeitig beglückwünscht: wir holen dies verspätet nach und wünschen euch, daß stets in euren Herzen dasselbe Glücksgefühl wohne, wie an jedem Tage, Gott segne euren gemeinsamen Lebensweg und bewahre euch vor harten Prüfungen. Wir sind durch dies Versehen von einem schweren Miko [Anm.: verm. Abk. für Mikrobe] befallen, der Zeit braucht, um sich zu verflüchtigen. Zu dieser Altersvergeßlichkeit kommen noch die politisch bewegten Zeiten (Palästinakrise etc.) - Gründe genug, daß Ihr uns entschuldigen mögt! Glückliches Neujahr!

Wir küssen euch, Eure Alten

14.09.48: Tarbuth statt Jawneh


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):






Radauti 14/9 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Der Zeitpunkt ist gekommen, da ich aus der geistigen Sumpfkloake Radauti, wo ich noch bei Lebzeiten eingesargt wurde, herauskomme u. aus dem geistigen Sarg steigen soll. Leset beigeheftetes Inserat DE LA INSTITUTUL [Anm.: rum. "von dem Institut"] "TARBUTH" [Anm.: zionistische Kulturorganisation]. Es steht vor mir die gebieterische Notwendigkeit, an den Kursen für Fortgeschrittene teilzunehmen, um dann als Lehrkraft solcher Kurse tätig zu sein, zumindest aber als Korrespondent. Übrigens beabsichtige ich, dem Institute anzubieten, schon jetzt als Leiter einer von mir zu organisierenden Fernunterrichtssektion in [h]ebr. Korrespondenz zu fungieren. Deine Aufgabe, lieber Julius, wäre es jetzt, bei "Tarbuth" [Anm.: zionistische Kulturorganisation] energisch, nicht sowie bei Jawneh [Anm.: s. Brief vom 14.11.46], als deren Ergebnis du herkamst, mich abzukanzeln, in der Richtung zu intervenieren, mich allenfalls anzumelden und unsere Übersiedlung nach Bucuresti zu bewirken. Ich muß ganz in der Nähe der Str. Remus 15 wohnen, für uns Alten ist ein Zimmerchen samt W.C. genug, das andere findet sich später. Ich bin dann von den außenpolitischen Bocksprüngen unseres demokratischen Regimes unabhängig u. werde es dann mit dem Israelstaate zu tun haben. Also: Du offerierst mich der "Tarbuth" [Anm.: zionistische Kulturorganisation] als Leiter der zu kreierenden Fernunterrichtsabteilung für [h]ebräische Korrspondenz. Das werde ich übrigens außerdem selbst tun, aber wie alle zionistischen Klicken [Cliquen] in Bucuresti hat auch die "Tarbuth" [Anm.: zionistische Kulturorganisation] die niedliche Eigenschaft, sich in Korrespondenzen mit der Provinz prinzipiell nicht einzulassen. Nur persönliches, keckes Anschnauzen u. nachher der warme Händedruck tut bei ihnen den Effekt, Methoden, die du bei "Jawneh" [Anm.: s. Brief vom 14.11.46] hübsch ignoriert hast. Wir stehen an einem Wendepunkt unseres existenzlichen Schicksals, u. hoffe ich, daß du deinen Mann stehen wirst.

Wir küssen euch, eure Alten.

Diesmal erwarten wir telegraphische Zustimmung.

P.S. Als Befähigungsnachweis kannst du das Kunstadt'sche literarische Gutachten [Anm.: s. Brief vom 14.09.47] vorweisen, von dem du eine Kopie hast. Übrigens empfiehlt sich auch für dich die Mitwirkung im rumänischen Teil, auf Wunsch kann auch deinerseits französische Korrespondenz als Unterrichtsgegenstand angegliedert werden - ein dankbares Gebiet für dein Frauchen.

[Anlage: rum. Zeitungsanzeige]

VON SEITEN DES INSTITUTS "TARBUTH"

Hebräisch-Lehrgänge für Fortgeschrittene

Wir geben die Aufnahme unserer Fortgeschrittenen-Lehrgänge in hebräischer Sprache, Literatur und Korrespondenz bekannt. Gleichzeitig wird der selbe Lehrkörper auch einen Lehrgang für Anfänger anbieten. Das hebräische Kulturinstitut "TARBUTH" beabsichtigt, mit diesen Lehrgängen Elemente vorzubereiten, die erforderlich sind, wenn es darum geht, die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Volksrepublik Rumänien und Israel zu intensivieren. (Korrespondenten, Übersetzer, Wirtschaftsberater, Dactylographen, Studenten, Professoren, etc.)

Angenommen werden Schüler und Schülerinnen aus der Hauptstadt und der Provinz. Die Anmeldungen finden bis zum 25. September des laufenden Jahres in dem Hauptsitz des Instituts "TARBUTH", Remus-Str. 15, von 17.00 - 20.00 Uhr.

10.09.48: Die offiziellen Nichtstuer verwandeln Flöhe in Elephanten.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):




Radauti 10/9 1948

Liebe Kinder, lieber Jul!

Anbei sende ich dir eine Postkarte, die uns die liebe Tante Gusta zukommen ließ. Was sagst du zum Inhalte? Du hast es übersehen, ihr offene Karten an uns u. dich zu untersagen, ich tat es jetzt. In einer Zeit, wo es von Verwicklungen riecht, schreibt sie auf offener Karte von erhaltenen "Photos", noch unter Gänsefüßchen. Ich verlange von ihr sofort Aufklärung über den Anlaß der Enquete [Anm.: frz. "Untersuchung"] auf der Mairie [Anm.: frz. "Bürgermeisteramt"], die sie sehr auf die leichte Achsel zu nehmen scheint. Vielleicht ist die Sache auch harmlos, aber zu solchen Zeiten machen sich die offiziellen Nichtstuer gern wichtig u. verwandeln Flöhe in Elephanten. Über die Sache ist überhaupt zuviel hin- u. herkorrespondiert worden, da unterschlüpft unabsichtlich irgend ein entgleistes Wort, worauf sich die Spitzelmeute stürzen kann. Wie steht es um euere Absichten für die nächste Zukunft? Glaubst du nicht, daß sich der Steuerterror wieder bei dir fühlbar machen wird, wenn du aus öffentlichem Dienste trittst? Was schreiben die Greifs aus Belgien. Bezüglich Palästina weiß ich nur, daß aus Cypern Tausende dorthin eingeschifft werden u. anlangen, mit Ausnahme Wehrfähiger. Aber Frauen werden - 35 J. für Hinterlandsdienste in die Armee eingereiht u. lassen sich mit großer Begeisterung rekrutieren. Ich glaube, Schellachen käme noch in Betracht.

Wir küssen euch, eure Alten.


Schreibt uns über euer Vorhaben in Zukunft! Auf Zumutungen der Tante Gusta bitte nicht mehr reagieren!

03.09.48: Wenn einmal der eiserne Vorhang niedergegangen ist, dann gibt’s kein Hinauskommen.


Elias Hauster an Julius und Rachel Hauster (Greif):





Radauti 3/9 1948

Liebe Kinder, lieber Julius!

Heute herzlichst dankend 2000 Lei erhalten. Vergelt's Gott mit göttlichem Multiplikationsfaktor. Kaum ist dir dein Posten langweilig geworden - gäbe es denn jetzt etwas anderes für dich zu tun? - erschüttert ein phänomenales Ereignis freudig die jüd. Welt: das Telegramm, daß sich alle 17-35-jährigen "fün unsere Lait" [Anm.: jidd. "von unseren Leuten"] zur Alijah [Anm.: hebr. "Auswanderungswelle nach Palästina"] zu melden haben. Dann folgt eine Schicht: die 36-65-Jährigen und zu allerletzt von 66 an aufwärts, wenn man das schon ein "aufwärts" nennen kann, vermutlich, wie es richtig wäre, mit Sanitätszug u. Krankenschwestern. Dir zu raten, mit auszufliegen, wäre für uns zu verantwortungsvoll, aber an eurer Stelle würden wir es tun: Ihr wolltet doch ohnehin aus dem Schrumpfring "aus eigener Kraft" hinaus u. wolltet die (aus eigener) Kraft-Männchen u. -Weibchen sich selbst überlassen. Dein Frauchen zögerte wegen der Gefahren: nun jetzt könnt Ihr es legal machen. Wir haben uns hier in den "Jichud" [Anm.: verm. jüd. Organisation] eingeschrieben, da wir durch ihn gegebenenfalls zu einer "Alijah" [Anm.: hebr. "Auswanderungswelle nach Palästina"] kommen können. Ich werde mich nach den anderen jüd. Pensionisten richten. Wie ist deine Devise bezüglich unser? Bist du für unsere Ausreise oder sollen wir hier bleiben, um dann Pensionisten der in inniger Umarmung ineinandergeflossenen "Demokratien" zu werden? Wenn einmal der eiserne Vorhang niedergegangen ist, dann gibt’s kein Hinauskommen. Möglich, daß sich für uns die Lebensverhältnisse bessern werden. Jetzt haben wir bloß Punkte, aber kein Geld zum Einkaufen. Dabei wird ein Kleidungsstück nach dem anderen lumpig u. vom langen Tragen übelriechend. Solltest du entschlossen sein, im Lande zu bleiben, dann wäre es an der Zeit, deine u. unsere Existenzbasis grundlegend umzubauen. Ich lege dir einen Timisoarer Zeitungsausschnitt v. 16/5 bei, woraus zu ersehen ist, daß dort bereits die Bauspekulation eingesetzt hat. Vermutlich auch in Bukarest. Wir würden Timisoara vorziehen, liegt es doch in der antiken "Dacia felix" [Anm.: röm. Provinz, lat. "glückliches Dakien"]! Wenn es dir gelingt, in Bucur[esti]. die Einkaufsstelle für Liegenschaften in U[d]RSS aufzustöbern - es soll dort angeblich eine solche bestehen - dann streben wir in Timis[oara] eine Kleinwohnung von 1 Parterre-Zimmer u. Küche, Kanal, Wasserleitung, Garten u. Brausezelle an, was du für den Erlös der 2 Cernautier Wohnungen auf deinen Namen erwerben könntest: Mit Timisoara wäre schon Radauti ein glänzender Tausch, geschweige denn Cernauti! Vielleicht gründest du nach dem Muster der "Agentur Weiß" eine "Agentur Hauster", nur müßte sie keinen Namen zur Schau tragen, sondern etwa "Fonciara" [Anm.: rum. "Grundstücke"], "Increderea" [Anm.: rum. "Vertrauen"] oder sonstwie heißen. Auf Grund- u. Bauspekulation mit "ewigen Wohnungen" wird sich jetzt überhaupt - mangels anderer Verwendungsmöglichkeit - das Privatkapital mit großer Vehemenz werfen, da wäre für eine Realitätenagentur [Anm.: Immobilienagentur"] ein sehr dankbares Feld. Ich könnte dabei sogar irgendwie noch mitarbeiten. Deine Auslandsverbindungen mit dienen derzeit belgischen Familienmitgliedern [Anm.: Familie Greif] kämen für ein solches Geschäft zustatten: Vielleicht hat ein ausländischer Kapitalist den Spleen, hier in Bauten zu spekulieren? Das Umgekehrte wird wohl schwer der Fall sein, kann aber auch eintreten. Du schriebst doch einmal, daß jetzt vor außenpolitischen Verwicklungen ein Staatsposten f. dich günstiger ist, wie ist es jetzt damit? Ich lege dir auch einen Zeitungsausschnitt über ein Buch der Auschwitzer Massenmorde bei, vielleicht kannst du dort, wenn du es irgendwo findest, in dasselbe Einsicht nehmen, um wenigstens das Todesdatum u. die angebliche Todesursache des armen Marzell [Anm.: Maximilian Hauster] herauszuschreiben, damit wir wissen, wann die Jahresandacht zu halten? Warum schreibst du, liebe Schellah, nicht einige Worte? Wie ist euer Befinden?

Wir küssen euch, eure Alten.


Schreibt euch in den "Jichud" [Anm.: verm. jüd. Organisation] ein (wenn Ihr noch nirgends eingeschrieben seid).